Völlig losgelöst

Astronaut Thomas Reiter ist der Aachener Ingenieurpreisträger 2016: 350 Tage hat er im All verbracht, so viele, wie kein anderer europäischer Astronaut. Er war der erste Deutsche, der 1995 einen Außenbordeinsatz im Weltraum meisterte im Rahmen der Mission Euromir 95. Später war er dann auch an Bord der internationalen Raumstation ISS. Bei der Verleihung im Aachener Rathaus am 9.September nahm er die Gäste mit auf eine spannende Reise.

 

Es war ein Abend, der sich zu einer spannenden Reise ins Weltall entwickelte: Zum dritten Mal ist im Krönungssaal des Rathauses der Aachener Ingenieurpreis verliehen worden. Oberbürgermeister Marcel Philipp und der Rektor der RWTH, Professor Ernst Schmachtenberg, überreichten gemeinsam Urkunde und Skulptur an den deutschen Astronauten und Ingenieur Dr. Thomas Reiter. Der weltweit anerkannte Wissenschaftler symbolisiere wie kaum ein anderer deutscher Ingenieur den Aufbruch in neue ferne Welten. „Der 58-Jährige versteht es, das Abenteuer Forschung mit großer Begeisterung anschaulich zu vermitteln“, betonte Schmachtenberg während des stimmungsvollen Festakts. Damit sei Reiter ein großes Vorbild für junge Menschen, erklärte der Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure VDI, Professor Udo Ungeheuer.
Jan Wörner, Generaldirektor der European Space Agency (ESA), würdigte in der Laudatio seinen Freund und engen Mitarbeiter Thomas Reiter für dessen Pionier- und Entdeckergeist. Reiters Leistungen dokumentierte Wörner in einem Vortrag, bei dem er die vielen beruflichen Stationen des Preisträgers Revue passieren ließ. Zu Beginn der Raumfahrt – mitten im kalten Krieg – sei es noch um einen Wettlauf im Weltall gegangen, das „Race in Space“. Heute gebe es Kooperationen jenseits irdischer Krisen. Reiter stehe für diesen Paradigmenwechsel in der Raumfahrt.

In neun Minuten in die Umlaufbahn
 
Der Preisträger zeigte sich „überwältigt“. Er wolle den Preis auch stellvertretend für seine vielen Astronauten-Kollegen annehmen, von denen Reinhold Ewald und Gerhard Thiele unter den rund 180 geladenen Gästen im Aachener Rathaus weilten. „Die RWTH ist eine der bedeutendsten Hochschulen Deutschlands. Hier erhalten Ingenieure das nötige Werkzeug und die Ausbildung, um Entwicklungen nicht nur in der Raumfahrt voranzutreiben“, sagte Reiter. Es gebe mit dem Alpha-Magnet-Spektrometer beispielsweise eine sehr bekannte und eindrucksvolle Beteiligung der RWTH an der Raumfahrt. Das Messgerät an Bord der Internationalen Raumstation ISS soll helfen, dunkle Materie aufzuspüren und Aufschluss über die Entstehung des Weltalls geben.
Das Publikum nahm der Preisträger, der selbst 350 Tage und damit mehr Zeit als jeder andere europäische Astronaut im All verbrachte, mit auf eine spannende Reise ins Weltall. Er schilderte den Anblick der Trägerrakete auf der Startrampe, „wie ein wildes Tier, vollgepackt mit 280 Tonnen flüssigem Stickstoff und Kerosin, das dampft und zischt“. Auf dem Weg zur Raumkapsel war sein wichtigster Gedanke: „Jetzt bloß nicht mehr den Knöchel verstauchen!“ Dann der Moment des Countdowns, das Abarbeiten der Checkliste und schließlich das Gefühl der Beschleunigung – in neun Minuten hoch in die Umlaufbahn.

Er habe auf seinen Missionen ein umfangreiches wissenschaftliches Programm in den Bereichen Materialwissenschaften, Geologie oder Medizin absolviert, unter anderem mit dem Ziel, den Ursachen für Osteoporose, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf die Spur zu kommen. „Bei der Raumfahrt geht es in erster Linie darum, neue Erkenntnisse zu gewinnen, damit wir unser Leben auf der Erde verbessern und die Umwelt verstehen“, erklärte Reiter. Außerdem gehe es um technische Innovationen und letztlich auch um Völkerverständigung. Dies alles sei der Nutzen der Raumfahrt. Das Publikum lernte: Astronauten sind zwar völlig losgelöst von der Erde, arbeiten dabei sehr bodenständig.

Gemeinsame Auszeichnung
 
Der Aachener Ingenieurpreis, den die Stadt gemeinsam mit der RWTH verleiht, verdeutliche die enge Zusammenarbeit zwischen Stadt und RWTH, erklärte Oberbürgermeister Marcel Philipp. Die Hochschule sei wichtig für die Stadt, weil beispielsweise Ingenieure Unternehmen gründen und die Stadt wirtschaftlich voranbringen würden. Und das Ingenieurwesen an der RWTH sei ein feiner Gegenpol zur historischen Stadt.
Mit dem Aachener Ingenieurpreis werden – mit freundlicher Unterstützung der Sparkasse Aachen als Hauptsponsor und des Vereins Deutscher Ingenieure VDI als Preisstifter – Menschen ausgezeichnet, die mit ihrem Schaffen einen maßgeblichen Beitrag zur positiven Wahrnehmung oder Weiterentwicklung des Ingenieurwesens geleistet haben. Und nicht zuletzt Ingenieure, die die nachwachsende Generation inspirieren, so wie dies die bisherigen Preisträger Professor Berthold Leibinger, Gesellschafter der TRUMPF GmbH + Co. KG, Professor Franz Pischinger, Gründer der Aachener FEV Motorentechnik GmbH, und nun eben Dr. Thomas Reiter machen.