StreetScooter – wie alles anfing

Im April 2016 gab die Post bekannt, mit der Serienfertigung des StreetScooter „Work“ zu beginnen. Bis Jahresende waren bereits 2.000 Fahrzeuge produziert. Langfristig soll die gesamte Flotte von 70.000 Fahrzeugen durch das Elektroauto ersetzt werden. Eine einmalige Geschichte, die an der RWTH Aachen begann. Günther Schuh weiß, wie…

 

FutureMag: Herr Professor Schuh, wann entstand die Idee, ein Elektroauto zu bauen?

Schuh: Im Oktober 2006 begann die Arbeit im Exzellenzcluster Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer. Wir waren auf der Suche nach einem geeigneten Beispiel, welche industriell gefertigten Produkte international wettbewerbsfähig in Deutschland oder einem anderen Hochlohnland produziert werden könnten. Das war zu einer Zeit, als die meisten dachten, Elektroautos würden doppelt so teuer werden wie herkömmliche Fahrzeuge. Neben der geringeren Reichweite und den eventuellen Komforteinbußen würde der hohe Preis den Erfolg der Elektromobilität behindern. Dem war dann leider auch so. Der Tesla S sollte den kalifornischen Markt erobern. Für 100.000 Euro! Solche hochpreisigen Produkte schaffen eine tolle öffentliche Aufmerksamkeit, bedienen jedoch nicht den Massenmarkt. Wir brauchen preisgünstige, bezahlbare E-Fahrzeuge.

Für einen leidenschaftlichen Produktionstechniker war die Forschungsfrage daher schnell formuliert: „Ist es mit heutiger Technologie schon möglich, ein Elektrofahrzeug so günstig zu produzieren, dass die Gesamtkosten (total cost of ownership) eines vergleichbaren Verbrennungsfahrzeugs mindestens erreicht oder sogar unterboten werden? So ist letztlich die Idee zu StreetScooter entstanden.

FutureMag: Wie wurde das Projekt realisiert?

Schuh: 2008 und 2009 wurde die Idee vorbereitet. Mit einem Anfangs-Etat von 50.000 Euro. Maßgabe war der Bau eines Prototyps für die Serienproduktion. Sowohl Konzeption als auch Kostenplan wurden zügig erstellt. Ohne Batterie und Mehrwertsteuer sollten die Herstellungskosten nicht über 5.000 Euro liegen, mit Batterie und inklusive Mehrwertsteuer möglichst nicht mehr als 10.000 Euro betragen. Die konkrete Umsetzung des Prototyps wurde allerdings unter anderem aufgrund der benötigten Mittel nicht mehr im Cluster realisiert.

FutureMag: Ein Rückschlag?

Schuh: Nein, keineswegs. Aber ich war damals schon mit dem Aufbau der RWTH Aachen Campus GmbH beschäftigt. Fast zeitgleich habe ich innerhalb der RWTH die Position als Prorektor für Industrie und Wirtschaft übernommen. In dieser Rolle sollte ich mich natürlich noch stärker um den Aufbau des neuen Campus kümmern. Ich suchte deshalb einen Projektleiter, der den Drive und die Zielstrebigkeit hatte, das Projekt StreetScooter weiter voranzutreiben und zum Erfolg zu führen. Ich rief meinen ehemaligen geschäftsführenden Oberingenieur Achim Kampker an, der mittlerweile erfolgreicher Geschäftsführer eines Automobilzulieferers war, und bat ihn zurückzukommen. Er nahm die Herausforderung an und kam noch im gleichen Jahr als Professor nach Aachen. Ich übergab ihm das Projekt und die damit verbundene Projektleitung.

Kanzlerin Merkel sagte „Weiter so!“

FutureMag: Das Projekt nahm also wieder Fahrt auf – wie schnell konnten Sie den Prototypen realisieren?

Schuh: Wir gründeten 2010 die StreetScooter GmbH und bildeten ein Konsortium zusammen mit der RWTH, anderen Forschungseinrichtungen und rund 80 mittelständischen Unternehmen. Bei der Übergabe an Professor Kampker war der erste Prototyp schon gezeichnet und virtuell ausdetailliert. Innerhalb von nur 15 Monaten hat Professor Kampker mit dem Konsortium den Prototypen realisiert.

FutureMag: Ein Beweis für eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit und die hohe Leistungsfähigkeit im Verbund.

Schuh: Definitiv. Maßgeblich waren daran auch die Elektrotechniker um Professor De Doncker, Professor Harmeyer und Professor Sauer beteiligt, die wir sehr früh in das Projekt eingebunden hatten, um die Themen Batterie und Antrieb voranzutreiben.

Professor Gies, seinerzeit Institutsleiter des IKA, hatte mit seiner Mannschaft den ersten StreetScooter, den Compact (A12) – heute ausgestellt in der Demonstrationsfabrik auf dem RWTH Aachen Campus – konstruiert. Das Pflichtenheft kam vom WZL. 2011 wurde der A12 auf der IAA in Frankfurt vorgestellt. Frau Merkel hatte Professor Kampker mit den Worten „Weiter so!“ ermutigt.

FutureMag: Wie hat die Automobilbrache nach der IAA reagiert?

Schuh: Der Prototyp sorgte für Aufsehen. Nach der Vorstellung waren wir euphorisch und motiviert. Wir hatten als Forscher den produktionstechnischen Beweis erbracht, zu unseren Zielkosten herstellen zu können. Die Branche hat kurz hingeschaut, geglaubt hatte sie uns nicht.

FutureMag: Und dann wurde die Deutsche Post aufmerksam.

Schuh: Ja, die Anfrage kam über den Vorstand Jürgen Gerdes und über seinen Bereichsleiter Uwe Brings. Sie fanden das Prinzip „design to cost engineering“ sehr spannend und wollten wissen, ob sich das Konzept auch für ein Elektroauto für die Paketzustellung eignet. StreetScooter entwickelte daraufhin den StreetScooter „Work“.

Um die besonderen Anforderungen bei der Brief- und Paketzustellung zu berücksichtigen, bezog Professor Kampker viele Experten und die ZustellerInnen mit ein. Rund 100 von ihnen arbeiteten quasi als Entwickler mit. Spezielle Anforderungen an das künftige Material sollten berücksichtigt werden. Wie wird die Tür geöffnet? Wie steigen Menschen in das Fahrzeug ein-/ aus? Wie wird ein-/ ausgeladen? Dies war ein entscheidendes Puzzleteil des Erfolgskonzepts. 2013 wurden die ersten 50 Fahrzeuge des „Work“ gebaut und einem Verfügbarkeitstest unterzogen. Das Testergebnis in Sachen Verfügbarkeit lag bei sage und schreibe 93 Prozent!

Als sich danach die Stimmung innerhalb der Post von noch etwas skeptisch zu teilweise euphorisch veränderte, haben wir erste, weitergehende Avancen seitens der Post erhalten. 2014 suchten wir Investoren, um unsere Serienproduktion finanzieren zu können. Die Post wollte sich die Kontrolle unseres von ihnen geförderten Start Ups sichern.

Erst hat die Branche uns in die Schublade „Jugend forscht“ gesteckt.“

FutureMag: Gab es nach den Weiterentwicklungen mit der Post nicht auch klassische OEMs die nun doch Interesse signalisierten?

Schuh: Nachdem uns die Branche nach der IAA zunächst in die Schublade „Jugend forscht“ gesteckt hatte, signalisierte jetzt auch ein großer Automobilhersteller Interesse. Die Verhandlungen waren jedoch zäh und langwierig. Da war die Post wesentlich dynamischer und schneller.

Und so ließ die Post im Dezember 2014 verlauten, die StreetScooter GmbH als Tochter in den Konzern zu integrieren. Professor Kampker blieb CEO von StreetScooter und wurde zugleich neuer Bereichsleiter für Elektromobilität bei der Post.

Eines muss ich an dieser Stelle betonen: Der Erfolg, den StreetScooter hat, ist maßgeblich Professor Kampker zu verdanken, der seine Aufgabe in ganz hervorragender Weise gelöst hat.

FutureMag: Was wurde aus der Idee des Zweisitzers?

Schuh: Natürlich wurde in der ganzen Zeit weiterentwickelt. Es gab Ideen für ein MicroCar (C16), noch kleiner als der Compact, der in einem Nebenprojekt überwiegend mit studentischen Mitarbeitern entwickelt wurde. Die Post war nicht an Fahrzeugen für den Personenverkehr interessiert, wir nicht an Güterverkehr. So sind einige Ideen aus der StreetScooter GmbH nicht an die Post mitverkauft worden.

Ich hatte mir schon früher Gedanken darüber gemacht, was in unserer deutschen Innovationslandschaft fehlt, um das hohe Erfindungspotenzial aus Hochschulen heraus in mehr „echte“ Innovationen zu transferieren. Der RWTH Aachen Campus ist auf diese Fragestellung ausgelegt, Forschungsfähigkeit näher an Innovationsfähigkeit heranzubringen. Daher haben wir für den Prototyp C16 eine beinflussbare Technologie und Plattform mitgenommen, um die Innovationskraft auf dem RWTH Aachen Campus in einem agilen Umfeld mit verschiedenen Akteuren weiter zu demonstrieren.

Sechs Wochen nach der Übernahme des StreetScooter durch die Post haben wir die e.GO mobile AG gegründet und das MicroCar (C16) zum e.GO Life weiterentwickelt, der im Juli 2016 vorgestellt wurde und im Februar 2018 in Serie gehen soll.

Wenn unser e.GO Life im Markt ankommt, stellen wir uns eine Serienproduktion von bis zu 10.000 Fahrzeugen pro Jahr vor, möglichst in Aachen.

FutureMag: Ihr Traum, ein Zukunftsauto zu bauen, ist demnach in Erfüllung gegangen.

Schuh lächelt: Das kann man so sagen!

Das Interview ist zuerst im Alumni-Magazin „keep in touch“ der RWTH Aachen erschienen (Nr. 62, WS 2016/2017).